Dissidente Geschichten zwischen DDR und pOstdeutschland #1

— 08/12/2019

Elske Rosenfeld, A Vocabulary of Revolutionary Gestures: Repeating: Versuche / Framed, Videoinstallation in der Ausstellung Turnen: A Vocabulary of Revolutionary Gestures, 2019. Foto: Chiara Faggionato.

Elske Rosenfeld und Andrea Pichl in der Ausstellung Turnen: A Vocabulary of Revolutionary Gestures, Campus für Demokratie, 2019. Foto: Chiara Faggionato.

Anna Zett, Anleitung zur kollektiven Praxis des dissidenten Sortierens und Heftens, Samisdat-Publikation URKUNDE - 40 Jahre DDR, Campus für Demokratie, 2019. Foto: Chiara Faggionato.

Anna Zett, Anleitung zur kollektiven Praxis des dissidenten Sortierens und Heftens, Samisdat-Publikation URKUNDE - 40 Jahre DDR, Campus für Demokratie, 2019. Foto: Chiara Faggionato.

Andrea Pichl, TSC, Installation, Campus für Demokratie, 2019. Foto: Chiara Faggionato.

Ina Röder Sissoko im Gespräch zu Schwarzem Feminismus und antifaschistischer Selbstorganisation zwischen DDR und pOstdeutschland, Campus für Demokratie, 2019. Foto: Chiara Faggionato.

* Buchpräsentation wildes wiederholen. material von unten.
* Sounds of the East German Underground 1979-1990 und Legeparty URKUNDE – 40 Jahre DDR
* Gespräch zu Schwarzem Feminismus und antifaschistischer Selbstorganisation zwischen DDR und pOstDeutschland
* Ausstellungseröffnung Turnen: A Vocabulary of Revolutionary Gestures

 

8. Dezember 15 bis 20 Uhr

Haus 7 (5. & 6. OG) Campus für Demokratie,
Ruschestraße 103, 10365 Berlin-Lichtenberg

 

* PROGRAMM

15 Uhr Eröffnung: Turnen: A Vocabulary of Revolutionary Gestures

Eine ortspezifische Ausstellung zu widerständigen Körpern im ehemaligen Turnsaal der Stasi von Elske Rosenfeld, mit Arbeiten von Gabriele Stötzer, Wolfgang Scholz und Elske Rosenfeld in einer Installation von Andrea Pichl, organisiert von Archive Books
Einführung: Andrea Pichl und Elske Rosenfeld

In den Performances und Filmen der Künstlerin Gabriele Stötzer und des Filmemachers Wolfgang Scholz manifestieren sich Körperlichkeiten der späten DDR zwischen Widerspenstigkeit und politischer Konstitutiertheit. Elske Rosenfelds Bearbeitungen von Dokumentationen (post-)revolutionärer Momente, die 1989/90 von Klaus Freymuth augenommen wurden,  in denen sich das, was in und nach der Revolution unsagbar bleibt in einem körperlichen Überschuss manifestieren. Die Arbeiten werden in der Installation “TSC” der in Ost-Berlin aufgewachsenen Künstlerin Andrea Pichl in und gegen die Aura des historischen Ortes gesetzt, in dem die Stasi Körper und Geist der Mitarbeiter mit Yoga und Tischtennis umhegte. Die Ausstellung ist Teil von Rosenfelds fortlaufendem Projekt „A Vocabulary of Revolutionary Gestures“.

16 – 17.30 Uhr Sounds of the East German Underground 1979-1990 und Legeparty mit Henryk Gericke und Anna Zett 

Mit Punkrock, Postpunk und Verwandtem aus dem Ostdeutschen Untergrund von 1979-1990 kommentiert Henryk Gericke, Autor und Kurator, die Publikation wildes wiederholen. material von unten 

Henryk Gericke war Sänger in ostdeutschen Punkbands. Ab 1984 Texte in inoffiziellen Zeitschriften wie Ariadnefabrik, Liane und Verwendung sowie Herausgeber unabhängiger Editionen Caligo, Autodafé und Braegen. Von 1990-93 Mitbegründer des Verlags Druckhaus Galrev Berlin. 1996 Gedichtband Autoreverse; 2005 eine kommentierte Auswahl ungeschriebener Gesetze, jeweils mit Zeichnungen von Ronald Lippok. 2004 Alfred-DöblinStipendium der Akademie der Künste Berlin. Mitkurator der Ausstellung ostPUNK! – too much future und Mitherausgeber des gleichnamigen Katalogs. 2006 Autor des Kinofilms too much future. 2007 Übersetzer und Herausgeber (mit Andreas Koziol) Edward de Vere „echo verses“ Gedichte. 2009 Gestalter und Mitorganisator der Ausstellung Poesie des Untergrunds. Die Literaten- und Künstlerszene Ostberlins 1979 bis 1989. Von 2010 bis 2015 Betreiber der Staatsgalerie Prenzlauer Berg. Ab 2018 Mitherausgeber der Vinyl-Editionen Iron Curtain Radio (Major Label) und Tapetopia (Play Loud Rec.). Seit 1996 unter dem Zweitnamen Nic Sleazy als DJ aktiv. Lebt in Berlin.

Anleitung zur kollektive Praxis des dissidenten Sortierens und Heftens von Anna Zett, Künstler*in, mittels der Samisdat-Publikation URKUNDE – 40 Jahre DDR

Anna Zett verbindet in ihrer Praxis historische Recherche und poetische Form mit Fokus. Als Teil der mit wildes wiederholen. material von unten initiierten künstlerischen Forschung im Archiv der DDR-Opposition / Robert Havemann Gesellschaft entstand ihre Arbeit Deponie. In Auseinandersetzung mit der Umweltbewegung und dissidenten Lyrikszene der DDR widmet Deponie sich den emotionalen Überresten der DDR, der Symbolik der Entsorgung, Absonderung, Deponierung. Mit dokumentarischen, performativen und installativen Mitteln untersucht Anna Zett Gesten der Entsorgung in Umwelt, Gesellschaft und Psyche und fragt vor dem Hintergrund sanierter Müllhalden nach dem, was nicht so einfach loszuwerden ist. Die Samisdat-Publikation URKUNDE – 40 Jahre DDR aus dem September 1989, die Anna während ihrer Recherchen im Archiv begegnete, wird anlässlich der Buchvorstellung zum kollektiven Sortieren und Heften neu vervielfältigt. „Legepartys“ dienten in DDR-Oppositionellen Kreisen dazu, Samisdat-Publikationen in meist nächtelanger Arbeit aus vervielfältigten Einzelblättern gemeinsam zu legen und heften. Im Samisdat URKUNDE versammeln die Herausgeber*innen um Bärbel Bohley Gespräche mit Menschen in der DDR über ihre Wahrnehmung der Situation im Land, ihr Lebensgefühl, ihre Träume und Enttäuschungen. Im Heft sind den Gesprächen Auszüge aus offiziellen Verlautbarungen, Karikaturen, Gedichte, kurze historische Abrisse und Illustrationen hinzugefügt.

17.30 Uhr Buchvorstellung wildes wiederholen. material von unten. Dissidente Geschichten zwischen DDR und pOstdeutschland #1 mit den Archivar*innen, Autor*innen, Herausgeber*innen und Verleger*innen

Beiträge von Alex Gerbaulet + Mareike Bernien, Anna Zett, Elsa Westreicher, Elske Rosenfeld, Ernest Ah + Sabrina Saase + Lee Stevens vom Kollektiv der Raumerweiterungshalle, Irena Kukutz, Nadia Tsulukidze, Peggy Piesche, Samirah Kenawi, Suza Husse + Ina Röder Sissoko, Technosekte + Henrike Naumann; und Gespräche mit Katalin Cseh-Varga, Maria Josephina Bengan Making, Rebecca Hernandez García, Redi Koobak, Sebastian Pflugbeil, Tim Eisenlohr; Herausgegeben von Elske Rosenfeld und Suza Husse  

Die Erfahrungen des gemeinsamen widerständigen Lebens in der von jeder utopischen Zukunft gelösten Gegenwärtigkeit der späten DDR harren bis heute einer differenzierten Bearbeitung. Ihre Spuren sind in der Erinnerung der damals Involvierten und in zahlreichen Dokumenten und Materialien in Archiven und Sammlungen aufgehoben. Alternatives Wissen durch selbstorganisiertes Publizieren, inoffizielle Bibliotheken und Formen der Selbstarchivierung zugänglich zu machen, war ein wichtiger Aspekt dissidenter Politiken in den 1980er Jahren.

In Berlin bildeten die Umweltbibliothek und dokumentarische Praxen von Feminist*innen (später Archiv GrauZone) den Grundstock dessen, was ab 1991 das Archiv der DDR-Opposition werden sollte. Die dort gesammelten Materialien zeichnen ein komplexes Bild individueller und kollektiver Lebenswelten, die sich dem politischen Regime und dessen gesellschaftlichen Normen entzogen oder aktiv widersetzen. Das Archiv dokumentiert, wie sich die Umwelt-, Friedens, Menschen- und Bürgerrechts-, Frauen*- und Lesben*bewegungen entlang des Versprechens wie des Scheiterns des Staatsozialismus ausformten. Nach 1990 verschwanden diese Erfahrungen in eine historische Unkenntlichkeit.

wildes wiederholen. material von unten versammelt verschiedene Formen der Annäherung an das Gefüge von Abwesenheiten und Möglichkeiten, die das Archiv der DDR-Opposition ausmacht. Dieses Buch ist das Ergebnis eines vielstimmigen und transdisziplinären Arbeitsprozesses, der mit den besonderen Möglichkeiten künstlerisch-historischen Arbeitens der Aktualität diesen wenig gehörten Geschichten nachgeht, um sie mit Begriffen und Praktiken des Politischen heute in Dialog zu setzen. Die Positionen, aus denen heraus Geschichte erlebt, begehrt und erzählt wird – ihre Situiertheit in Körpern, Sprachen und Ökologien – sind Teil jeder Erzählung. Die Beiträge sind Ausdruck kritischer künstlerischer Zugänge zu Archiv und Erinnerung aus feministischen, kritisch-postsozialistischen, linken, queeren und intersektionalen Perspektiven. Inhalte und Kontexte historischer Materialien werden hier, ebenso wie archivarische und historisierende Praktiken selbst zu Feldern politischer und ästhetischer Bearbeitung.

18.30 Uhr Gespräch zu Schwarzem Feminismus und antifaschistischer Selbstorganisation zwischen DDR und pOstdeutschland mit Ina Röder Sissoko

Ina Röder Sissoko (geborenen und aufgewachsen in der DDR) ist Afrodeutsche, Hebamme und Naturheilkundige. Ina war Ende der 80-iger Jahre aktiv in der Frauen*- und Lesben*bewegung der DDR und ab 1989 in der Schwarzen Feministischen Bewegung in Deutschland. Im Buch wildes wiederholen. material von unten erscheint ein Gespräch mit Suza Husse entlang der wenigen Spuren zu ihrer Arbeit im Archiv der DDR-Opposition. Dieses Gespräch über feministisch-lesbische Organisierung in Dresden und in überregionalen Gruppen, Rassismus in der DDR und Wendezeit, weiße Ignoranz, antifaschistische (Selbst-)-Organisierung und die Anfänge Schwarzer feministischer Bewegung in Dresden und pOstdeutschland setzen wir am 8. Dezember fort.

Das Gespräch als pluralistische Methode von Erinnerungsarbeit und Geschichtsschreibung ist für die Entstehung dieses Buches und für viele der darin enthaltenen Beiträge zentral. Als Teil intersektionaler Geschichtspraxen, wie der futuristischen Erinnerung (Peggy Piesche) oder der Bio-Fiktion (Nadia Tsulukidze), gehen gesprächs- und oral-history-basierte Beiträge auch mit den Abwesenheiten und Leerstellen hegemonialer Erinnerung um. Im Gespräch mit allen Anwesenden geht es deshalb auch um Formen intersektionaler, pluralisierender Erinnerungsarbeit, die das Archiv in seinen Leerstellen reflektiert und erweitert.

 

Weitere Informationen zur Ausstellung:
Turnen: A Vocabulary of Revolutionary Gestures läuft vom
8.-18. Dezember 2019. Gefördert vom Haupstadtkulturfonds. Weitere Informationen hier

 

Zum Buch:

Eine District*Schule ohne Zentrum und Archive Books Publikation in Zusammenarbeit mit der Robert Havemann Gesellschaft e.V. / Archiv der DDR-Opposition

Herausgegeben von Elske Rosenfeld und Suza Husse

Beiträge: Alex Gerbaulet + Mareike Bernien, Anna Zett, Elsa Westreicher, Elske Rosenfeld, Ernest Ah + Sabrina Saase + Lee Stevens vom Kollektiv der Raumerweiterungshalle, Ina Röder Sissoko + Suza Husse, Irena Kukutz, Nadia Tsulukidze, Peggy Piesche, Samirah Kenawi, Technosekte + Henrike Naumann und Katalin Cseh-Varga, Maria Josephina Bengan Making, Rebecca Hernandez García, Redi Koobak, Sebastian Pflugbeil, Tim Eisenlohr

Gesprächspartner*innen im Archiv der DDR-Opposition: Christoph Ochs, Jana Papke, Frank Ebert, Olaf Weißbach, Rebecca Hernandez García, Tina Krone

Redaktion: Elske Rosenfeld und Suza Husse
Gestaltung: Elsa Westreicher
Lektorat: Nine Eglantine Yamamoto-Masson
Übersetzung: Cordula Unewisse, Wilhelm von Werthern
Transkription: Jil Zepp, Julia Reinl
Korrektorat: Archive Books / Lena Heubusch
Fotografie: Emma Wolf Haugh, Jil Zepp
Bildbearbeitung: Hannes Wiedemann

Dokumente, Musik, Bilder und Gesprächsbeiträge aus dem Archiv der DDR-Opposition / Robert Havemann Gesellschaft e.V. / und von Baumarkt, Bärbel Bohley, Bettina Dziggel, Christiane Kloweit, Cornelia Schleime, die andere, Emma Wolf Haugh, Erweiterte Orgasmus Gruppe, frau anders, Freya Klier, Ina Röder Sissoko, Kerstin Baarmann, Kerstin Rösel, Klaus Freymuth, Leo Tesch, Michael Beleites, Nadja Schallenberg, Namenlos, Nancy Adler, Nicola Lauré al-Samarai, Pea Lehmann, Rainer Steußloff, Samirah Kenawi, Tina Elischer, Ulrich Neumann, Verena Kyselka, Zwitschermaschine + Saukerle, 3tot

Die Publikation erscheint bei Archive Books und District*Schule ohne Zentrum. Dissidente Geschichten zwischen DDR und pOstdeutschland #1 wurde gefördert vom Beauftragten zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Berlin.


© Die Autor*innen, der Herausgeber*innen, Archive Books, 2019.

ISBN: 978-3-946674-04-7

 

Künstlerisches Leitungsteam District*Schule ohne Zentrum: Andrea C. Keppler, Ferdiansyah Thajib, Naomi Hennig, Nino Halka, Nuray Demir, Suza Husse
wildes wiederholen Projektteam: Buchhaltung: Anneli Schütz; Kommunikation: Johanna Ekenhorst; Kurator*innen: Elske Rosenfeld, Suza Husse; Kuratorische Assistenz: Maria Josephina Bengan Making, Luisa Jürgens, Jil Zepp; Projektkoordination: Andrea C. Keppler; Sound: SoundSysters; Technik: OAX Collective. wildes wiederholen. material von unten
 wurde gefördert mit den Mitteln des Haupstadtkulturfonds.