Trùng Mù – White Mist in Foreign Country

18/04/2019 — 02/06/2019

Nguyen Phuong Linh, Trùng Mù, video (HD), 2018

Nguyen Phuong Linh, Trùng Mù, video (HD), 2018, Courtesy: Singapore Art Museum

Tuan Mami, In One’s Breath–Nothing Stands Still, video (HD), 30’00’’, colour, sound, 16:9, 2019

Tuan Mami, In One's Breath - Nothing Stands Still, 2019

Nguyen Phuong Linh, Memory of the blind elephant, 2014-2016

Nguyen Phuong Linh, Memory of the blind elephant, 2014-2016

Trùng Mù – White Mist in Foreign Country, an installation by Nguyen Phuong Linh co-inhabited by works by Tuan Mami and Kim Bode and the collaborative publication NAILS hacks*facts*fictions, 2019. Exhibition photos: Liane Aviram

Eine Installation von Nguyen Phuong Linh

und Herberge für
In One’s Breath – Nothing Stands Still von Tuan Mami
Memory Of The Blind Elephant von Nguyen Phuong Linh
Blue Flamez von Kim Bode
NAILS*hacks*facts*fictions – eine kollaborative Publikation und Zusammenkünfte

Kuratiert von Suza Husse / NAILS*hacks*facts*fictions im Rahmen von Caring for Conflict. Gefördert vom Projektfonds Kulturelle Bildung und ifa

18. April 2019: 19h Ausstellungseröffnung; 20.30 h Launch der kollaborativen Publikation von NAILS*hacks*facts*fictions

Öffnungszeiten der Ausstellung: Mittwoch bis Freitag, 15-19 h

Trùng Mù (Endless, Sightless) beginnt hinter einem laubgemusterten Vorhang: Eine Cyborgfigur beugt sich über einen zweiten Körper, um an dessen Gesicht zu arbeiten. Begleitet wird die Szene vom repetitiven Klang einer Lasermaschine zur Entfernung dunkler Pigmentierung in der menschlichen Haut. Dieser Klang umspannt und verbindet die visuellen und zeitlichen Bewegungen des gesamten Films. Nguyen Phuong Linhs Videodrama oszilliert zwischen verschiedenen Intensitäten von Unschärfe, Verblendung und Verdunkelung und lässt so einen generischen, zeitlosen Raum kosmetischer Technologie entstehen. In ihrer Choreographie von Textilien und Texturen, von festen und gasförmigen Aggregatzuständen, von menschlichen und nicht-menschlichen Körpern setzt sich der Schönheitssalon als Ausdruck von Pflege und Konflikt in Zeiten des Kapitalismus, von globalen toxischen Verbindungen und von Korpofiktionen als Produkt migrantischer Arbeit zusammen.

In etwas verstaubter und in low-tech Manier verweist die unheimliche Kulisse von Trùng Mù auf das klinische Weiß, das sich durch die Labore der Raumfahrt, der Kriegsführung und biochemischer Experimente zieht. Kosmetik, so scheint es, wird hier als ein alternatives historisches Paradigma vorgeschlagen, um post-koloniale und post-sozialistische Beziehungen zwischen Körpern, Architekturen und Umwelten zu verstehen. Protagonist*in von Trùng Mù ist ein weißer Nebel, in dem die giftigen Dämpfe des Kosmetiksalons, vermischt mit mikroskopischen Haut-, Staub-, Fingernagel- und Plastikpartikeln wabern. Diese Wolke mit kontaminierendem Potential ermöglicht es Phuong Linhs Film, verschiedene Nuancen der Opazität zu durchwandern und verschiedene Grade der Un-/Belebtheit und Un-/Sichtbarkeit zu navigieren.

Die Ausstellung Trùng Mù – White Mist in Foreign Country wird von zwei weiteren Arbeiten bevölkert, welche die metaphorische Umwelt-Figur des weißen Nebels mit konkreten Mikropartikeln, Atmosphären und Ökologien verknüpfen, die in Vietnam mit Kolonialismus und Raubbau in Verbindung stehen. Mit Tuan Mamis Film In One’s Breath – Nothing Stands Still (2019) und Phuong Lins Film Memory of the Blind Elephant (2014-2016) lässt sich Trúng Mú’s weißer Nebel als ein Medium verstehen, das Lebens-, Todes- und Zwischenzustände verschiedener Körper, Regionen, Ökologien und Geschichten verbindet. Toxic bonds, toxische Verbindungen nennt die Theoretikerin Mel Y. Chen das von Gift bzw. in giftigen Lebens- und Arbeitsumgebungen geformte Miteinanderverbundensein ganz verschiedener körperlicher, materieller und gefühlter Formationen, welche die üblichen Hierarchien belebter und unbelebter Materie queeren.

In Tuan Mamis Film In One’s Breath – Nothing Stands Still (2019) füllt der weiße Staub explodierter Berge die Luft, die in den Urwaldgebieten von Hà Nam in Nordvietnam erst kürzlich für den Steinabbau freigegeben wurden. Als fortlaufendes Werk basiert In One’s Breath – Nothing Stands Still auf Tuan Mamis Auseinandersetzung mit dem Land, der indigenen Kultur und Spiritualität seiner Herkunft und den Formen von Verlust, Leid, Widerstand und Überleben der dortigen mehr als menschlichen Gemeinschaften angesichts beschleunigter Extraktion. Phuong Lins Film Memory of the Blind Elephant (2014-2016) bewegt sich durch die Umgebung eines Arbeitselefanten, dessen Leben eng mit den postkolonialen Ökologien Zentral- und Südvietnams verstrickt ist. Gummibäume in großen Plantagen, Insekten, Menschen, Eidechsen, Flüsse und Maschinen bilden die anderen Schnittstellen von Geschichten, Technologien und Leben, die ihr Film mit den weißen Choreographien der Gummiverarbeitung und der Mechanik der „Landreorganisation“ seit der französischen Kolonisation verbindet. Aus von Baggern umgegrabener Erde ragen Wurzeln, aus deren Wunden weiße Flüssigkeit quillt. Wie klebrige Finger scheinen sie Flüche in Richtung der rechteckigen Felder zukünftiger Bauplätze oder Plantagenflächen zu kanalisieren und zugleich neue (Rück-)Verbindungen zu fordern.*

Trùng Mù ist Teil einer Reihe von Recherchen, Gesprächen, visuellen Studien und Kunstwerken unter dem Titel White Mist in Foreign Country (dt. Weißer Nebel in einem fremden Land), die Nguyen Phuong Linh seit 2015 entwickelt als sie für ein Kunststudium von Hanoi nach Frankfurt zog. Die Serie basiert auf freundschaftlichen Beziehziehungen und geteilten Erfahrungen mit Frauen* der vietnamesischen Diaspora, die in Frankfurter Nagelstudios arbeiten. Dieser Austausch führte zu Phuong Linhs Arbeit als Nagelmodell in mehreren Salons und inspirierte 2016 eine erste Videostudie und 2018 Trùng Mù (Endless, Sightless). Die Collage White Mist in Foreign Country, die für die Installation bei District entstanden ist, und das Heft NAILS*hacks*facts*fictions versammeln Spuren der Fortsetzung ihrer künstlerischen und situierten Auseinandersetzung mit den Geschichten, Psychosphären und Ökologien der vietnamesischen Migration in Berlin. Seit 2017 ist Phuong Linhs Schaffen in Berlin geprägt von den Begegnungen mit Onkel Hieu in und um die in den 1980er Jahren in Berlin Marzahn errichtete Hochhaussiedlungen und dem Park Springpfuhl. Hieu ist der Onkel des Künstlers Nguyen Quoc Than, einem weiteren Mitglied des Nhà Sàn Kollektivs. Im Jahr 2018 begannen Hieu und Phuong Linh mit der Zusammenarbeit an einem Werk, das die Geschichten, Fantasien und Fakten von Hieus Migration nach Berlin als junger Mann mit seiner Familie und ihrem Leben in der späten DDR, den 90er Jahren und bis heute mit den Intimitäten, Gewalttaten, Kämpfen und Aneignungen, die in die sozialistische Architektur, Stadtökologie und Skulpturen in Hieus Marzahner Nachbarschaft eingeschrieben sind, verbinden sollte. In Phuong Lins Collage greift ihre Nageldesign präsentierende Hand durch Hieus Wohnungsfenster in eine Landschaft voller Symbole diasporischer Häuslichkeit, europäischer Fiktionen, sozialistisch kühner skulpturaler Femininität und migrantischer Körperarbeit.

Phuong Linhs Recherche zu der Arbeit White Mist in Foreign Country inspirierte Gründung und Arbeit der transdisziplinären Forschungsgruppe NAILS*hacks*facts*fictions, deren gemeinsame Publikation im Rahmen der Ausstellung präsentiert wird. Als weiteres Portal für multiple toxische, queere und diasporische Verbindungen stellt sich N*A*I*L*S*hacks*facts*fictions das Nagelstudio als einen Ort kritischer, transkultureller Praktiken und intersektionaler Fürsorgepolitiken vor. In den gesammelten Essays, Interviews, Collagen und Kunstwerken erscheinen Nägel als kollektives Interface, durch das wir uns den in der Nagelästhetik verflüssigten und in der Pflegearbeit verankerten Bedingungen nähern. Ein Interface, um die „Magie“ der Ware zu hacken, um Biopolitiken zu erschüttern. Mehr zu der Publikation hier.

Text von Suza Husse

 

* Das Projekt In One’s Breath – Nothing Stands Still orientiert sich an dem überlieferten Mường-Epos Đẻ đất đất đẻ nước (The Birth of Soil and Water). Die Mường sind eine indigene Bevölkerungsgruppe, die in Vietnam (als drittgrößte von 53 ethnischen Minderheiten des Landes) in den Bergen Nordvietnams lebt.

*Wie Trúng Mú entstanden diese beiden Werke im Umfeld des in Hanoi ansässigen Nhá Sán, ein Kollektiv und unabhängiger Raum für künstlerische und politische Kollektivität, für Experimente und Beständigkeit, zu dem sowohl Tuan Mami als auch Phuong Linh gehören.

Trùng Mù – White Mist in Foreign Country / NAILS*hacks*facts*fictions ist Teil des intersektionalen Kunst- und Bildungsprojekts Caring for Conflict, initiiert von District Berlin und Institute für Queer Theory, gefördert vom Projektfonds Kulturelle Bildung.

NAILS*hacks*facts*fictions sind derzeit Anisha Müller, Anna Ehrenstein, Ayşe Güleç, DAMN / Deutsche Asiat*innen Make Noise, Dovilè Aleksaitè, Jinran Ha, Johanna Michel, Katja Kobolt, Kim Bode, Liane Aviram, Suza Husse, Thao Ho, Yen Le, Vicky Truong. Kernteam Caring for Conflict: Nuray Demir, Suza Husse, Ani Lachnitt. Volontärin: Lilian Bocksch. Künstlerisches Leitungsteam District: Nuray Demir, Nino Halka, Naomi Hennig, Suza Husse, Andrea C. Keppler, Ferdiansyah Thajib. Kommunikation: Magda Albrecht, Johanna Ekenhorst. Finanzen: Anneli Schütz. Aufbau: Anne Hierzi and Winnie Olbrich  / Oax Constructions. Assistenz: Konstantina Athinaiou, Liane Aviram.

Trùng Mù – White Mist in Foreign Country ist gefördert durch ifa (Institut für Auslandsbeziehungen).