(Dis)playing paper − Hours and Constellations #4

25/04/2013 — 25/04/2013

Alpha Couple, omar lora, Detail, 2013

Jason Levis, Tesserae, 2012.

Epiphany Now_TIPI 2013 - Audiovisual Live Performance

Visual Aid.
Individual Notation Systems of Sound and Music

kuratiert von Jana Sotzko und Theresa Stroetges

mit Arbeiten und Dokumenten von Alpha Couple, Tore Honoré Boe, Duchamp, Ensemble Abgesagt, Epiphany Now, Beck Hansen, Jasmine Guffond & Ilan Katin, Liz Kosack, Andrew Kemp, Jason Levis, Thessia Machado & Merche Blasco, Florian Merkel, Miss Machine, Loretta Myr, Oravin, Frank Schültge, Golden Diskó Ship, Shinya Sugimoto

mit Performances von Epiphany Now, Tore Honoré Boe und Liz Kosack

Visual Aid ist ein disziplinübergreifendes Ausstellungs- und Performanceprojekt zu unkonventionellen Formen der musikalischen Notation und bildet den vierten und abschließenden Teil der Reihe (Dis)playing papers, hours and constellations. Visual Aid greift die Fragestellungen – zur Politik der Probe, zum Sound in der zeitgenössischen Kunstproduktion und zur Übersetzbarkeit von Kompositionsprozessen in spielerische Dramaturgien für eine temporäre Gemeinschaft – der vorangegangen Beiträge auf und führt sie zusammen.

„Die Notation also trifft das Wesen des Kunstwerks ebenso wie das Wesen der menschlichen Existenz, beiden ist eine Zeit in unterschiedener Endlichkeit gemein, und beide teilen in unterschiedener Weise einen Raum.“ (Hubertus von Ameluxen: Notation, die Künste und die musikalische Reproduktion)

Die Musikwissenschaftlerinnen und Musikerinnen Jana Sotzko und Theresa Stroetges skizzieren in Zusammenarbeit mit der Kuratorin Suza Husse aktuelle Strategien in Musik, Sound- und Performancekunst, die etablierte (westliche) Notationssprachen durch Abweichungen, Erweiterungen und Alternativen ergänzen oder diese vollständig verwerfen. Die Ausstellung zeigt experimentelle Notationen in Form von u.a. Notizen, Zeichnungen, Texten, Fotografien, Objekten, präparierten Instrumenten, Ton- und Videoaufnahmen.

In freier Anwendung und Fortführung der Entwicklungen aus zeitgenössischer Musik, Fluxus- und Aktionskunst der 1960er Jahre, die weg von der „klanglichen Passivität des Werkes in der Partitur hin zur unmittelbaren Aktion, Anweisung zur Realisation des Klangs in der Zeit“ führten (Peter Weibel), zeugen die präsentierten Aufzeichnungen und Anleitungen von der fortschreitenden Emanzipation der Interpret_innen von fixierten Autoren- und Werkbegriffen. Diese unkonventionellen Notationen stellen die Kommunikationsfunktion des Zeichensystems Notation in einigen Fällen grundlegend in Frage. Beispielsweise verdeutlichen die Experimente von Florian Merkel, Frank Schültges und Ellen Evers die Unzulänglichkeit bestehender Methoden, gegenwärtige Musikformen wie etwa elektronische Musik, Pop und Noise zu notieren – denn entscheidende musikalische Qualitäten wie Klangfarbe, Timbre, komplexe Rhythmik, die individuelle Performance der Komponist_innen, live-elektronische Prozesse und vor allem der Sound an sich sind durch tradierte Formen der Notation nicht adäquat zu verschriftlichen.

Ob und wie sich aktuelle musikalische Ereignisse überhaupt noch notieren lassen, ist besonders in den soundbasierten Genres oft gar keine Frage mehr. Zum Beispiel zeigt sich in den performativen Klang- und Lichtinstallation des Ensembles Epiphany Now das Obsoletwerden jeglicher Notation zugunsten einer reinen Improvisation mit Sound. Die Ansätze etwa von Liz Kosack und Alpha Couple hingegen verdeutlichen, dass Musiker_innen zunehmend hochindividuelle Notationssprachen entwickeln, die nur für sie selbst bestimmt sind. Wenn die Aufführung populärer Musik kaum mehr getrennt von der (Star-)Persönlichkeit des Interpreten/der Interpretin denkbar ist, tritt die essentielle Funktion der Notation als Handlungsanweisung für andere in den Hintergrund.

Aber es lassen sich auch gegenläufige Tendenzen aufzeigen: Beck Hansen veröffentlichte sein letztes Album Song Reader nicht in der konventionellen Form eines Tonträgers, sondern als Buch mit Sheet Music in traditioneller Notenschrift und Midi-Dateien zum Download. Indem Beck seine eigene musikalische Interpretation verweigert, macht er seine „Hörer_innen“ zu den Interpret_innen seiner Musik. Im Spannungsverhältnis von Anleitung und einer mittlerweile allgegenwärtigen Aufzeichnungs- bzw. Dokumentationspraxis, versinnbildlichen die Youtube-Clips der von Fans performten Song Reader-Stücke die Entwicklung der Notation von der Emanzipation der Interpret_innen zum user generated content.

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