Barbara Caveng: Neuköllner Sozialparkett

17/03/2011 — 31/12/2011

Barbara Caveng, Neuköllner Sozialparkett, 2011

Barbara Caveng, Neuköllner Sozialparkett, 2011

Barbara Caveng, Neuköllner Sozialparkett, 2011

Barbara Caveng, Neuköllner Sozialparkett, 2011

Das Neuköllner Sozialparkett, das erste Projekt der AAArchitecture-Reihe, ist ein partizipatives Kunstprojekt der Künstlerin Barbara Caveng. Ausrangierte Tischplatten, Regalbretter, Schranktüren und sonstige wild entsorgte Möbelteile, die aus den Wohnungen, Kellern, Dachböden und Gartenlauben der Neuköllner*innen stammen, wurden im öffentlichen Raum Neuköllns gesammelt und über den Zeitraum von mehreren Monaten zu Parkett verarbeitet. Der Bodenbelag aus

Mit dem Neuköllner Sozialparkett beschließt die Schweizer Künstlerin Barbara Caveng eine Trilogie, die das Parkett als materielles und soziales Phänomen sowie das Individuum in seinem Verhältnis zur Gesellschaft thematisiert. Nach dem Kunstparkett, das 2008 Hölzer aus Ateliers, Galerien und Museen in eine Repräsentationsfläche für künstlerischen Erfolg oder Scheitern verwandelte, und dem Belziger Volksparkett, einem uneinheitlichen deutsch-deutschen Bodenbelag im 20. Jahr nach der Wende, fragt das Neuköllner Sozialparkett, 2010 aus den „Existenztrümmern“ der Straßen Neuköllns realisiert, nach subjektiven und kollektiven Wertvorstellungen.

Rund 550 Fundstücke und Spenden von Neuköllner*innen wurden zu geschnitten und in edlem Fischgrätenmuster, ursprünglich auch „Bürgerparkett“ genannt, auf 120 qm verlegt. Barbara Caveng hat mit einem sechsköpfigen Team fünf Monate lang Holz jeglicher Art und Form zusammengetragen und bearbeitet: von Sperrholz bis zu edlem Teak, von kaputten Brettern bis zum kompletten Schrank. Bemalte Küchenbankreste wurden von Baumscheiben abtransportiert, Tische und Schubfächer von Straßenecken, eine blaue Nachtkonsole von dem Mann mit den „Haifischschuhen“.

Gülers Garderobe oder Bernhards Schiffsplanke – was im Leben und in den Wohnungen der Menschen ausgedient hat, erzählt im Sozialparkett über die Neuköllner und ihre Wohnkultur. Liebevolles Rosendekor, aufgemalte Tiere und Herzchen-Verzierungen, die Tristesse der Holzimitate – bevorzugt Buche hell – transformiert die Künstlerin zu einer begehbaren Installation, in der die Geschichten der Menschen, ihre sozialen Umstände und Verhaltensweisen nachhallen. Geschichten von der zehnjährigen Sindi aus der Okerstraße, die in Hamburg geboren wurde und Hannover besser findet als Neukölln, von Andrea aus Sardinien, der in Neukölln seinen ersten Fuchs gesehen hat, oder von Bruno (64) vom Hermannshof, für den Neukölln „mein Mittelmeer“ ist.

Gesammelt, gereinigt und vorsortiert wurde in einem Ladenlokal in der Okerstraße, gleichzeitig Anlaufstelle und Ausstellungsraum, in dem Holz für Holz der Projektverlauf dokumentiert wurde – mit Fotografien der Ursprungshölzer am Fundort oder mit ihren Spendern. Über eine Bezirkskarte, die die Fotos in den jeweiligen Straße verortete, spannte sich ein dichtes Netz aus leuchtend roten Fäden.

Drei Monate lang war die „Sozialparkettstube“ ein Treffpunkt im Schiller-Kiez. Man kam mit Nachbarn ins Gespräch, konnte die Künstlerin zum Projekt befragen und über seine Erfahrungen im Kiez oder mit dem Material erzählen. Auf Fragebögen wurde notiert, warum man Neukölln liebt oder hasst und welche Geschichte hinter der Holzspende steckt. Doris hat die Telefonbank eines Verstorbenen gestiftet, um ihn als Teil des Sozialparketts zu würdigen. Im Blog schreibt sie über ihre Freude, dass so an Erol K. erinnert wird und zitiert den Künstler Lyonel Feininger: „Kunst ist nicht Luxus, sondern Notwendigkeit.“

Gemütlichkeit und Tristesse, Individuelles und Massenware, Wohnkultur und „Wohnhaft“ – die ganze Palette des problembeladenen, aber auch vielfältigen Bezirks wird auf dem Neuköllner Sozialparkett ausgebreitet, begehbar und erfahrbar gemacht. Eine Repräsentationsfläche aus 4289 Paneelen, Hunderten von Farbtönen, zu 85 Prozent aus beschichtetem Pressspan und zu 15 Prozent aus Echtholzarten. 75 namentlich genannte Akteure und über 100 Unbekannte aus dem Kiez haben ihre Erinnerungen, ein kleines Stück ihres Lebens, ihre Sehnsüchte, Hoffnungen oder Flüche darin eingewebt. Mit Schnörkeln, Punkten und Zebrastreifen, mit Plastikfurnieren und grün-weißem Kickerspiel. Ein Klangteppich aus lauten und leisen Tönen, mit sensiblen Spuren und rauen Kratzern, gesammelt in über 90 Straßen Neuköllns, erklingt im Museum als Symphonie der Hölzer. Barbara Caveng hat mit dem Sozialparkett eine kommunikative Installation geschaffen, die den Ecken, Kanten und Kuriositäten des Bezirks eine ästhetische Gestalt verleiht, den Menschen und dem Material ein Stück ihrer Würde zurückgibt.

Barbara Caveng (*1963 in Zürich, Schweiz) studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz, Österreich. Caveng wurde mit renommierten Preisen und Stipendien ausgezeichnet, darunter das Stipendium des Kunstmuseum Thun, Schweiz (2014), die Residency des Künstlerhaus Dortmund (2014), das Stipendium des Werkleitz Festivals Halle (2013) und die Residency der Croatian Association of Artists (2012).

Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt, u.a. im Kunstmuseum Thun, Schweiz (2014), auf dem Werkleitz Festival Halle (2013), im National Museum of Architecture, Maastricht, Niederlande (2008), The Aram Art Gallery, Seoul, Südkorea (2009), The Museum of Modern Art in Stockholm, Schweden (2005), im Kunstnernes Hus Oslo, Norwegen (2005), Haus der Kunst in München (2003), The Art Museum of Akureyri, Island (2003) und der Kunsthalle Mannheim (2004).

Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Nähere Informationen unter
http://www.kunstparkett.net/sozialparkett/sozialparkett.html 

Ein Projekt von District Berlin in Zusammenarbeit mit der Malzfabrik.

Seit 2011 widmet sich District im Rahmen von AAArchitecture der Ko-Produktion und Vermittlung ortsspezifisch entwickelter Kunstprojekte, die in den Zwischenbereichen von Architektur, urbanem und sozialem Raum, Technologie und Kunst experimentelle Perspektiven zeitigen.

 

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