Der bildende Künstler Julius von Bismarck, der experimentelle Gestalter Benjamin Maus und der Filmemacher Richard Wilhelmer konzentrieren sich in der dritten Kunst-am-Bau-Installation von District Berlin mit dem Titel Public Face auf den öffentlichen Raum als diskursiv und materiell umkämpften Verhandlungsraum und auf Taktiken zeitgenössischer Kontrolle. Auf dem Silo der Malzfabrik installieren sie einen überdimensionalen Smiley aus Stahl, der kilometerweit sichtbar ist und dessen flexible Augen- und Mundpartie aus hell leuchtenden Neonröhren besteht. Die mit Unterstützung des Fraunhofer-Instituts entwickelte Software des Smileys scannt menschliche Gesichtsausdrücke aus in der Umgebung bestehenden firmeninternen Überwachungssystemen und lässt den Smiley darauf reagieren: ein ‚Public Face’, das die Stimmung der Menschen am Arbeitsplatz berechnet, abstrahiert und mit minimaler Verzögerung sichtbar macht.
Der Smiley, Icon der vernetzten Kultur, wurde 1963 vom amerikanischen Werbegrafiker Harvey Ball erfunden, um das Betriebsklima einer Versicherungsgesellschaft aufzuheitern. Ein Jahrzehnt später wird der Smiley den Übergang von der Disziplinargesellschaft in die flexible Kontrollgesellschaft begleiten, Ende der 80er Jahre zum Symbol der Acid House Bewegung erkoren und in den 2000ern ein unersetzliches Surplus digitaler Kommunikation werden. Gegenwärtig findet die Netzwerkgesellschaft im coolen, verlegenen oder ironischen Smiley einen sauberen Platzhalter für die menschliche Mimik sowie Gefühle und Zwischentöne, die im digitalen Datentransfer verborgen bleiben.
Für ihre Installation Public Face haben von Bismarck, Wilhelmer und Maus vier Grundstimmungen ausgewählt, die sich untereinander kombinieren lassen: Heiterkeit (symbolisiert durch das Anheben der Mundwinkel), Traurigkeit (Senken der Mundwinkel), Überraschung (das weite Öffnen der Augen) und Wut (das Zusammenkneifen der Augenlider). Doch trotz endloser Kombinationsmöglichkeiten bleibt dieses „öffentliche Gesicht“ oder „das Gesicht der Öffentlichkeit“ eine leblose technologische Maske, die uns aus dem Nichts anblickt.
Dem Kulturtheoretiker Brian Holmes zufolge wurde der ‚Personal Computer’ von IBM bereits in den 70er Jahren als Instrument und Symbol der disziplinarischen Bürokratie kritisiert. Durch das Aufkommen dieser neuen ‚Sprachen-und-Bilder-Maschine’ (Brian Holmes) bekam die „künstlerische Kritik“ (Luc Boltanski & Eve Chiapello) eine quasi magische Antwort auf ihr Begehren nach Flexibilität, Autonomie, flachen Hierarchien und verstärkter Identifikation. In den 70er Jahren wurde die Netzwerkgesellschaft, die immaterielle Arbeit (Michael Hardt & Antonio Negri) und mit ihr ein komplett umgestülptes postfordistisches Kontroll- und Wertesystem geboren, und parallel grinste der Smiley auf Abermillionen Kaffeetassen, Jeans und Bettwäsche. Neben den Vorteilen der individualisierten Arbeit und der physischen und psychischen Mobilität besitzt der ‚Personal Computer’, der große Bruder des Smileys, eine Kontrollfunktion über den privaten Raum seiner User*innen und öffnet die Pforten in die Welt der spekulativen Ökonomie: in die Welt der Medien, des Entertainments und der rasanten Kommodifizierung von Kultur. Der Smiley, die einzige anthropomorphe Grafik auf dem PC, avancierte zu einem Talisman der zukünftigen Konsument*innen und gilt bis in die Gegenwart als alterslose Ikone der globalen Werbeindustrie.
In von Bismarcks, Wilhelmers und Maus‘ Public Face wird der Smiley zu einer Plastik mit potentiellen Ausdrucksformen, einem Medium, das vom ‚Personal Computer’ in den öffentlichen Raum wandert und auf seine Umgebung reagiert. Doch im Konzept von Public Face ist ein interessanter Widerspruch angelegt: das Versprechen, die Gefühle der flexibilisierten Arbeiter*innen in Berlin Tempelhof-Schöneberg durch einen Algorithmus zu erfassen und die praktische, theoretische und philosophische Unmöglichkeit dieses Vorhabens.
Das Public Face, das „öffentliche Gesicht“, ist eine Karikierung des postmodernen Posings im Wirtschaftsunternehmen, so wie „die Öffentlichkeit“ eine kollektive Erfindung ist und die Mimik eines menschlichen Gesichts am Arbeitsplatz nichts Relevantes über die kulturelle Geformtheit und die Kapitalisierung von Gefühlen preisgibt. Die Installation Public Face funktioniert daher wie ein Mahnmal, sie erinnert an das zunehmende Verschwinden des privaten Raumes durch das „elektronische Halsband“ (Gilles Deleuze) und erweckt das älteste Icon der „semiotischen Ökonomie“ (Brian Holmes) wie ein Schreckgespenst künstlich zum Leben. Zudem bleibt bewusst offen, wo sich der/die Träger*in des nachgeahmten Gesichtes befindet, wie und woran sie/er arbeitet und ob sie/er mit der Observierung einverstanden ist.
In der semiotischen Ökonomie der Netzwerkgesellschaft werden Bilder und Zeichen zu Waren, die unser subjektives Interesse, unsere Aufmerksamkeit und unsere Leidenschaften stimulieren. Alle Informationen, die das Public Face übermittelt, werden in Vergessenheit geraten; die Kurzlebigkeit des Smileys ist sein Markenzeichen in der virtuellen wie urbanen Welt. In Public Face wird die jahrzehntealte Waffe der symbolischen Analysten zu einem maskenhaften Stimmungsbarometer, zu einem unbeteiligten Roboter, der die Paradoxien und Ambivalenzen unserer Subjektivierung über den Dächern der Stadt auffrisst.
Julius von Bismarck (*1983, Breisach am Rhein, aufgewachsen in Riad, Saudi-Arabien, Freiburg und Berlin) studierte an der Universität der Künste Berlin, am Hunter College New York, USA sowie am Institut für Raumexperimente in der Klasse Olafur Eliasson.
Von Bismarck wurde mit renommierten Preisen und Stipendien ausgezeichnet, darunter der IBB Photography Award (2013), der Prix Ars Electronica Collide@CERN (2011), Schweiz, Beep Electronic Award, Spanien (2010), Prix Ars Electronica, Österreich (2009) und die Goldene Nica des Prix Ars Electronica, Österreich (2008).
Seine Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt, u.a. in der Kunsthalle Wien (2015), Neue Nationalgalerie Berlin (2014), im Winzavod Centre for Contemporary Art, Moskau, Russland (2014), dem National Museum Contemporary Art, Taichung, Taiwan (2013), dem Palais de Tokyo, Paris, Frankreich (2013), auf der 13. Internationalen Architektur-Biennale Venedig, Italien (2012) und im Tokyo Metropolitan Museum of Photography, Tokyo, Japan (2012).
Er lebt und arbeitet in Berlin.
Ein Projekt von District Berlin in Zusammenarbeit mit der Malzfabrik.
Seit 2011 widmet sich District im Rahmen von AAArchitecture der Ko-Produktion und Vermittlung ortsspezifisch entwickelter Kunstprojekte, die in den Zwischenbereichen von Architektur, urbanem und sozialem Raum, Technologie und Kunst experimentelle Perspektiven zeitigen.